LAbg. Ingrid GADY: Frauen sind anders geworden – Männer auch.

In den letzten 40 Jahren sind die Geschlechterrollen in Bewegung gekommen.  Seit Anfang des 20. Jahrhunderts fanden sich Frauen immer weniger bereit, sich mit der ihnen in Jahrhunderten der patriarchalen Herrschaft zugewiesenen gesellschaftlichen Rolle abzufinden. Simone De Beauvires Satz „ Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht“ gilt als eine der ersten und prominentesten Kritiken an der Vorstellung der Naturgegebenheit der Geschlechterdifferenz. Der Satz hatte etwas Befreiendes. Die der männlichen Herrschaft zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konstruktionen wurden immer vehementer angegriffen. Die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht –Sex und gesellschaftlichem Geschlecht – Gender wurde wichtig.

Die von Pastoraltheologen Paul M. Zulehner und der Sozialethikerin Petra Steinmair-Pösel  im Vorjahr präsentierten Studie „Typisch Frau“ (Typisch Frau? Wie Österreichs Frauen leben und glauben – 1970 – 2010 Veränderungen und Konsequenzen in Gesellschaft und Kirche. Studie im Auftrag der Zeitschrift „Welt der Frau“)  unterwirft  diesen Wandel einer wissenschaftlichen Betrachtung. Demnach ist der  Anteil an „modern orientierten“ Frauen   kontinuierlich gewachsen und liegt bei etwa 36 Prozent. Der Anteil der „traditionsbewussten“ Frauen ist im gleichen Maß gesunken, er liegt bei etwa 16 Prozent. Modern orientiert meint die Zustimmung zu emanzipatorischen Werten wie der Verbindung von Familie und Beruf, traditionsbewusst dagegen hohe Zustimmung zu traditionellen Werten wie Zuständigkeit der Frau für Familie und Haushalt. Dazwischen gibt es einen größeren Anteil an „suchenden“ Frauen, für die die alten Bilder nicht mehr tragen und die neuen noch nicht, und einen ähnlich großen an „pragmatischen“ Frauen, die da wie dort herausnehmen, was gerade in ihre Lebenssituation passt.

Bei Männern findet eine ähnliche Bewegung statt, nur ist die Entwicklung langsamer.

Kinder, Küche, Kirche, Karriere und Klamotten. Diese  5“Ks“ werden immer noch als klassische Frauenthemen gehandelt. Immer noch verdienen Frauen in Österreich im Durchschnitt um ein Drittel weniger als Männer – was uns im EU-Vergleich einen Spitzenplatz garantiert. Nicht alle Unterschiede sind auch mit Ungerechtigkeiten verbunden, aber in Summe ergibt sich ein Muster, wonach die Chancen zwischen den Geschlechtern ungerecht verteilt sind. Das katholische Kirchenrecht schließt bis heute Frauen von höheren Ämtern aus. Ob in der Philosophie, im Staat, in der Ökonomie oder in der Religion – überall wurden und werden diese vielfältigen Formen von Hierarchisierung und Ausschluss mit der Annahme eines natürlichen und unveränderlichen Unterschieds zwischen Frauen und Männern legitimiert, wobei Frauen als minderwertig definiert werden.

Demgegenüber gab der Gedanke, dass die Differenz zwischen den Geschlechtern nicht naturgeben   ist, der Frauenbewegung in der 1970er/80er Jahren in Europa und den USA, ebenso wie der sich herausbildenden feministischen Theorie, enormen Aufwind. Unzählige Arbeiten zur Geschlechter Politik wurden geschrieben, erst jüngst  der Beitrag  der Kleinen Zeitung mit der Frage „Ob Gendern auf die Nerven gehen darf“. (Eva Surma,  Geschäftsführerin der Frauenservicestelle des Bundes in Leibnitz hat perfekt mit einem Gastkommentar gekontert: „Gendern soll auf die Nerven gehen).

Die widerentflammte Diskussion weißt uns darauf hin, dass Mechanismen und Praxen, durch die die Differenz zwischen den Geschlechtern hergestellt wird, immer noch wirksam sind. Nach fast vier Jahrzehnten Frauenemanzipation und Gleichstellung gehört die Gestaltung des Zusammenlebens von Frauen und Männern noch immer zu den brennenden Fragen der Zeit.

Gendern Sie eigentlich?

Zwar werden wir mit einem biologischen Geschlecht geboren, unser Frau- und Mann-Sein wird jedoch inszeniert und konstruiert. Wir müssen ständig in einer bestimmten Art und Weise handeln, um in der Gesellschaft als Frau oder Mann wahrgenommen zu werden.

Meist ist das Geschlecht eines Kindes schon vor der Geburt wichtig, weil die Einrichtung des Kinderzimmers, die Babykleidung und die Spielsachen für Mädchen und Buben danach ausgewählt werden. Wir behandeln Mädchen anders als Buben. Kinder reagieren darauf, indem sie sich anders fühlen und anders verhalten. Gender ist demnach etwas von den Menschen Geschaffenes und wird nur durch unser Handeln immer wieder aufs Neue hergestellt und gefestigt.

Sag mir, wie du sprichst und wenn du meinst.

Mit unserer Sprache werden nicht nur Inhalte vermittelt, sondern auch Wertvorstellungen. Natürlich gibt es anatomische Unterschiede: Frauen haben meist eine höhere Stimme, die längeren Stimmbänder der Männer dagegen produzieren tiefere Töne. Der Widerstand gegen eine geschlechtergerechte Sprache ist vielerorts noch groß. Das häufigste Argument für die Beibehaltung männlicher Sprachmuster – „Die Frauen sind ja ohnehin mitgemeint“ – wurde durch zahlreiche Studien widerlegt. Deren Ergebnisse zeigten, dass Frauen explizit erwähnt werden müssen, damit sie auch existieren.

Sag mir, was du trägst und was du isst.

Frauenmode mit ihrer größeren Farbenvielfalt, ihren feineren Stoffen, Spitzen und Rüschen symbolisiert nicht nur Weiblichkeit, sondern erweckt auch Assoziationen von Instabilität, Weichheit und Verspieltheit. Die Mode- und Kosmetikbranche und vor allem die Werbeindustrie schaffen und verfestigen stereotype Frauen- und Männerbilder. Frauen interessieren sich eher für gesunde Ernährung; gesundheitsriskante Verhaltensweisen auch beim Essen passen in die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit. Daraus abgeleitet wird der Gegensatz von „stark“ und „schwach“, das bedeutet, „Doing Gender“ im kulinarischen Zusammenhang festigt wiederum die Hierarchie der Geschlechter.

Sag mir, was du tust und  wer du bist.

Trotz aller Veränderung im Bildungsbereich werden technische Berufe vorwiegend von Männern gewählt, während pädagogische und soziale Berufe immer noch eher Frauen zugeordnet werden. Beide Geschlechter haben die tradierten Vorstellungen davon, was Männer und was Frauen können, nachhaltig verinnerlicht.

Warum nun betreiben alle von Geburt an ständig „Vergeschlechtlichung“?  Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass es eine vorhersehbare Arbeitsteilung gibt, dass jemand für Kinder und Personen verantwortlich ist, die nicht für sich selber sorgen können, dass ihre Mitglieder die ihnen zugewiesenen Rollen erfüllen, dass es gemeinsame Werte gibt, dass die Menschen in jedem Gender wissen, was von ihnen verlangt wird, was erlaubt und was tabu ist – und sich meist auch daran halten. Niemand muss zur Darstellung seiner (geschlechtlichen) Identität die volle Palette der Möglichkeiten ausschöpfen. Doch Menschen sind auf Gemeinschaft angewiesen, und wer von den Gender-Normen abweicht, muss mit sozialer Ausgrenzung rechnen. Gender ist (über-)lebensnotwendig für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Gesellschaft. Geschlechterrollen von Frauen und Männern sind allerdings nicht naturgegeben, sondern kulturell und sozial konstruiert. Da sie von Menschen gestaltet werden, sind sie auch veränderbar. Das Nachdenken  und die Auseinandersetzung über die Frage wie eben unlängst, „Ob Gendern auf die Nerven gehen darf“  mag helfen, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu verändern, für mehr Gleichberechtigung zu sorgen und damit vermehrte Gestaltungsmöglichkeiten für alle zu schaffen.